
Die zauberhafte Welt der Eisblumen und Schneekristalle
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Brrr ist das kalt draußen. Ich freue mich jeden Morgen schon wie wild aufs Eiskratzen. Nicht. Obwohl… eigentlich sieht die Scheibe meines Autos wirklich zauberhaft aus. Es ist über und über mit Eisblumen und wunderschönen Mustern überzogen. Eisblumen… leider kann man sie nicht pflücken und mit ins Haus nehmen. Man kann sie nur in dem Moment bewundern, in dem sie da sind.
Wird es nur ein wenig wärmer, scheint die Sonne auf die Scheibe, hauchen wir das Eis an… schon schmilzt diese wunderschöne Blume dahin. Oder sie wird eben grob und unachtsam mit unserem Eiskratzer beseitigt.
Am allerliebsten entstehen Eisblumen an Autoscheiben, bzw. an dünnem Glas. Das liegt daran, dass Glasscheiben schneller auskühlen als die Luft drum herum. Das Wasser aus der Luft legt sich dann auf die Gegenstände, hält sich an winzigen Staubpartikeln und Unebenheiten auf der Scheibe fest… und gefriert augenblicklich.
Bist du schon einmal morgens über eine Wiese mit richtigem Raureif gelaufen? Erinnerst du dich an das Gefühl, wie die Wiese unter deinen Füßen knirscht und knackt? Sie ist voller kleiner Eiskristalle. Auch hier hat sich die Luftfeuchtigkeit, die über 90% betragen muss, wie zum Beispiel bei Nebel, über das Gras und die Pflanzen gelegt. Wir benötigen hierfür eine Temperatur unter Minus 8 Grad, denn erst dann entstehen die nadelartigen
Eiskristalle, die sich auf Pflanzen bilden. Schau dir einmal die kleinen Spitzen an, die wie Stacheln von den Pflanzen und Zweigen abstehen. Wie sie glitzern und funkeln. Sie wachsen auch, je nach Untergrund und Gegenstand an dem sie sich niederlassen, sehr unterschiedlich und bilden bizarre Muster.
Wissenschaftler gehen davon aus, dass kein Eiskristall auf der Welt je dem anderen geglichen hat. Aber eine Gemeinsamkeit haben sie dennoch: Sie bilden alle eine sechseckige symmetrische Form. Das ist der einzige Zustand, in dem sich die Wassermoleküle effizient anordnen können. Denn wenn das Wasser zu Eis gefriert, sortiert es sich neu. Für einen einzigen Eiskristall reichen dabei 475 Wassermoleküle aus. Dieser Kristall ist dann mikroskopisch klein. In Wirklichkeit bestehen die Eiskristalle, die wir sehen und bewundern, aus ein paar Milliarden Molekülen. Die Symmetrie entsteht, weil alle gleichzeitig den gleichen Bedingungen ausgesetzt sind. Temperatur, Luft, dem Untergrund wie einer Glasscheibe und so weiter.
Aber schauen wir uns die Dimension des Ganzen noch einmal näher an: Wie faszinierend ist das bitte, dass kein Eiskristall jemals dem anderen geglichen hat? Wie viele Eiskristalle bilden sich auf dieser Welt, jetzt, in dem Moment, bei diesem Wetter? Schon alleine auf unserer Autoscheibe?! Wie viele haben sich in der Vergangenheit, in den letzten Jahrmillionen gebildet? Ist das nicht eine unglaubliche Vorstellung? Wie viel Vielfalt in ein paar Eiskristallen steckt? Wie viele unendliche Möglichkeiten so einfache Wassermoleküle haben? Wie die Natur eine Welt einfach so mit ein paar Molekülen verzaubern kann?
Wir leben an einer großen Straße am Stadtrand, in der Nähe von einem Industriegebiet und einer Autobahn. Hier gibt es viel Staub. Wenn die Luft viel Staub enthält, beschleunigt das die Kristallbildung ungemein. Würde man in einem Experiment versuchen, destilliertes Wasser zur Kristallbildung zu nutzen, würde man das nicht einmal bei -70 Grad schaffen. Verunreinigtes, „staubiges“ Wasser bildet dagegen schon bei 0 Grad fantastische Eisblumen.
Wusstest du, dass Wasser im flüssigen Zustand viel weniger Platz braucht, als im festen (gefrorenen) Zustand? Vielleicht kennst du das von dem Effekt, dass die Bierflasche in der Kühltruhe irgendwann platzt… Wenn nicht: Sei froh! Eine wirkliche Sauerei! Woran liegt das? Die Wassermoleküle ordnen sich in einem Gitter zu Kristallen an. Das heißt, sie bilden eine dimensionale Form und docken aneinander an. Dazwischen entstehen Lücken und Räume. Die Eiskristalle wachsen so von innen nach außen und werden immer größer und größer. Sie dehnen sich im Raum aus. Jetzt wird ́s kurz wissenschaftlich: Sie bilden chemische Verbindungen, auch Wasserstoffbrücken genannt, indem sie sich mit vier Nachbarmolekülen verbinden. Ein Wassermolekül besteht aus jeweils zwei leicht geladenen Wasserstoffatomen und einem leicht negativ geladenen Sauerstoffatom.
Sie beginnen zuerst, sich in der sechseckigen Form anzuordnen und das wirklich präzise und perfekt. Immer mehr Moleküle schließen sich an und bewahren das symmetrische Gleichgewicht. So entsteht ein Gebilde, was uns an eine Wabe, eine Blume oder an Gitter erinnert.
Eine einzige Schneeflocke besteht aus ein paar Milliarden Wassermolekülen. Milliarden!!! Und jetzt stell dir einmal diese Dimension vor: Wie viele unendliche Möglichkeiten zur Anordnung das birgt. Was für komplizierte kleine Konstrukte das sind! Lass dir das mal auf der Zunge zergehen, wenn du dich beim nächsten Schnee mit offenem Mund zum Himmel reckst und Schneeflocken fängst.
Schneeflocken entstehen in den meisten Fällen von jetzt auf gleich. Das heißt, das Wasser wechselt unmittelbar vom gasförmigen in den festen Zustand und überspringt galant den flüssigen Teil. Die einzelnen Kristalle brauchen auch hier wieder Staubpartikel, an die sie andocken können. Außerdem wird eine Wolke benötigt, die irgendwo unter dem Gefrierpunkt in der Luft herum schwebt. Indem sich so eiskalte Wolkentröpfchen zusammen schließen, entstehen Schneeflocken. Je nach Temperatur und Luftfeuchtigkeit haben sie eine unterschiedliche Größe oder Form. Du kennst bestimmt die Unterschiede ganz gut: Pulverschnee, nasser Matsch-Schnee, Schneeregen, ganz leisen, leichten Schnee…Jetzt kommt ein verblüffender Fakt: Es gibt Schneeflocken von der Dimension einer Walnuss. Kein Scherz! Angeblich wurden auch schon mal größere Schneeflocken beobachtet… und sie halten trotzdem in ihrer Form fest zusammen.
Außerdem gibt Eisblumen aus salzigem Meerwasser. Sie entstehen beispielsweise in Skandinavien, wo die Temperaturen wirklich weit im Minusbereich liegen. Meeres- Eiskristalle sind übrigens viel fester als die normalen, die wir kennen. So können die Skandinavier ganze Eispaläste und Hotels aus Eis bauen, in denen dann wagemutige, frostsichere Touristen übernachten können.
Denke doch vielleicht beim nächsten Mal darüber nach, was für eine Vielfalt das ist, die da vor deinem Haus auf dem Gehweg liegt und weggeschaufelt werden will.
Wir haben die Wahl. Wir können am Morgen mürrisch zu unserem Auto schlendern und uns ärgern: „Oh nein! Schon wieder muss ich Eis kratzen!“ Oder wir richten unsere Augen einfach mal auf dieses wunderschöne Kunstwerk und saugen diese Schönheit wirklich tief in uns auf. Vielleicht machen wir auch ein schönes Foto – und morgen noch eines – und erkennen: Es sieht jedes Mal ganz ganz anders aus. Und wunderwunderschön.